Etappenfahrt nach Berlin

Bild 18Wir fahren nach Berlin

Machen sich Dortmunder auf den Weg nach Berlin, hat man den Fan-Gesang der Südkurve einfach mit im Gepäck, uns ging es nicht anders. 10. August 2013, 09:00h, Start in Do-Kurl mit den besten Wünschen für eine gute Fahrt und den mitleidigen Blicken unserer Angehörigen. Sie wussten, dass unser erstes Etappenziel Holzminden war und 150 km weiter östlich lag. Bei der Vorbesprechung hatte Winni die läppischen Kilometer so harmlos umschrieben wie eine Kaffeefahrt: „bei schönem Sommerwetter und fast geradem Streckenverlauf, ohne größere Höhen, werden wir ruck zuck da sein, denn der Wind kommt ja meistens aus Westen“. Keiner weiß wie er das macht, aber es war genauso –fast. Bis Paderborn im D-Zug Tempo, Treffen mit Bernd am Bahnhof und kurze Beschlussfassung, unsere Mittagsrast wird in Altenbeken stattfinden. Einstmals ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt, über beeindruckende Brückenbauwerke zu erreichen, erinnert heute eine Dampflock der Reihe 044 in der Ortsmitte an die guten alten Zeiten. Der Tipp einheimischer Radler lautete, die anstehenden Steigungen doch besser zu umfahren und die Strecke über Driburg zu wählen, grundsätzlich kein schlechter Rat mit dem kleinen Haken, die Wegstrecke verlängerte sich um 20 km.Die Alternativen auf unserem Navi waren auch nicht so ganz eindeutig und die schnellste Variante auf den Planer wäre durch den Eisenbahntunnel gewesen. Den Warnhinweis im Streckenfunk an die Lokführer hatten wir schon im Ohr: im Tunnel kommen ihnen fünf Radler auf den Gleisen Richtung Bad Driburg entgegen, bitte fahren Sie mit ihrer Lok äußerst rechts und überholen Sie nicht…Diese technische Herausforderung an das DB-Personal wollten wir dann doch nicht. So ganz ohne Steigungen sind der südliche Teutoburger Wald und die Ausläufer des Eggegebirges auf dem Weg nach Holzminden nicht zu queren, jedoch nichts was uns überfordert hätte, doch ganz ehrlich, am Ende waren wir ziemlich platt. Die kleine und sehr schöne Altstadt von Holzminden konnte keinen mehr so recht locken, dafür erkannte das Hotelpersonal gleich unseren Notstand und somit nahm die Außengastronomie mit uns gleich Fahrt auf.

Das Tor zum Harz nennt man Halberstadt auch, von Osten betrachtet. Wir näherten uns von Westen, durchquerten die Ausläufer des Harz und erfuhren blühende Landschaften so weit das Auge reichte. Eine sehr schöne Strecke durch teils idyllische und manchmal auch vergessene Dörfer ohne Aussicht auf Besserung. Und spätestens an dieser Stelle muss Bernd einfach erwähnt werden. Das Handicap seiner Armverletzung ließ die aktive Teilnahme mit dem Rad nicht zu, somit übernahm er den Fahrdienst mit dem Bus komplett und wir genossen den Luxus der fahrenden Verpflegungs-und Getränkestation. Danke Bernd! Halberstadt selbst ist manchem von uns ein Begriff, man weiß aber nicht so recht warum und so lohnt der Blick in die Stadtgeschichte. Historischer und bewegter geht’s kaum, quer durch alle Epochen, und dieses Bild vermittelt die Stadt heute noch, haben alle ihre Spuren hinterlassen, sowohl der Zerstörung als auch des Wiederaufbaus. Unser Hotel lag am Rand der Altstadt, individuell geführt, unweit des historischen Rathauses, davor der große Marktplatz mit Kirche und Dom an seinen Kopfenden. Umgeben von solchen Gemäuern isst man natürlich deftig und in Kellergewölben, und das -zu beachtlich günstigen Preisen.

Will man die Halberstädter Historie übertreffen, reist man in die Lutherstadt Wittenberg. Es klingt sicherlich überheblich, würde man diese Strecke als Fahrt durch Deutschlands mittlerem Osten bezeichnen, der Nachholbedarf erscheint immer noch immens und in seiner Vollendung unabsehbar, Opfer eines Regimes und seiner Planwirtschaft. Damit nicht genug, das Hochwasser der Elbe und ihrer Nebenflüsse macht viele Sanierungsarbeiten wieder zunichte. Die mit Spannung erwartete Lutherstadt Wittenberg zeigte sich zunächst mal wenig historisch. Stadteinwärts, wie vor den Toren anderer Stätte auch, Industrie und ramponierte Straßen, der Radweg hatte zwar weniger Industrie, dafür aber den Fahrbahnbelag der alten Kategorie, also lieber wieder auf den Hauptweg. Dann waren wir plötzlich doch mitten im touristischen Trubel. Die Stadt ist mit Recht ein Magnet und noch bis zum späten Abend trafen Radler mit Gepäck auf der Suche nach Quartier ein. Ein Gang zur Lutherkirche und durch die Altstadt war Pflicht, gegen größere Exkursionen sprach unser Hunger, denn die Organisationsleitung hatte Etappen unter 140 km nicht im Programm. Unser Hotel mit urigem Innenhof konnte dem abhelfen und zudem mit verschiedenen Bieren aus der eigenen kleinen Hausbrauerei aufwarten – alle Sorten waren lecker…

Der Elberadweg mit Station in Wittenberg ist für Nicht-Rennradfahrer sicherlich eine Empfehlung, unsere Großrichtung für die vierte Etappe jedoch hieß Berlin und beinahe hätte uns der erste Regen auf unserer Fahrt überrascht. Wenige hundert Meter vor uns schob sich eine Regenwand an uns vorbei Richtung Norden, wir bekamen kaum einen Tropfen ab, Minuten später war wieder die Sonne unser Begleiter auf einem Plattenweg der Sonderklasse, stets in sicherem Abstand zum durchziehenden Regen. Über seinen direkten Draht zu Petrus war Winni zu keiner Aussage bereit, sondern machte nur Angaben zur weiteren Streckenführung…Treuenbrietzen lag am Streckenrand, die Sabinchenstadt, und so manch einer kennt sie vielleicht, die Moritat vom treulosen Schustergesell, der schließlich am Galgen endete aber immerhin mit seiner Meucheltat dafür sorgte, dass alljährlich die 10-tägigen Sabinchenfestspiele stattfinden. Dem tugendhaften Frauenzimmer konnten wir auch post Mortem keine Aufwartung machen, das ließen Zeit- und -Streckenplan nicht zu und so näherten wir uns zügig unserer Hauptstadt. Bisher friedlich durch Feld und Flur geradelt überkommen den einst furchtlosen Radler so langsam bange Gefühle. Mindestens 25 km verkehrstechnische Nahkampfzone standen vor uns und keine Zeit darüber nachzudenken. Das war auch gut so, denn schon waren wir mitten im Kampfgeschehen, ohne Bernd als Rückendeckung. Getrennt von Funk und Sichtkontakt galt es nun gemeinsam das Ziel zu finden und dazu waren alle Mittel erlaubt. Die Bus- und LKW-Spur gehörte uns, kein Sprintduell wurde ausgelassen und um die respektvolle Anerkennung eines kurz mit-radelnden Berliners haben wir fair gekämpft: „seid ihr wirklich aus Dortmund? Find ich ja echt geil“. Das Lob der Jugend beflügelte Manni noch mehr und im festen Vertrauen auf ihn und sein Navi traten wir nochmal richtig an. Links abbiegen und Spurwechsel über vier Fahrbahnen, Tempo der übrigen Verkehrsteilnehmer annehmen – kurz vor den Ziel alles kein Problem mehr, schließlich hatten wir uns 120 km warm gefahren, da ist der Citysprint ein würdiger Abschluss. Am Ortsausgang von Spandau dann das Kontrastprogramm, innerhalb weniger Minuten in fast ländlicher Umgebung im Spandauer Forst der Hinweis zu unserer Unterkunft. Vor uns lag in einer parkähnlichen Anlage eine kleine eigene Welt aus roten alten Bachsteinbauten, die Einfahrt führte über eine Allee mit mittigem Rad- u. Gehweg und dort sollte unser Hotel sein? Gut, dass Bernd schon kurz vor uns eingelaufen war und uns am Eingang Mut machte, denn dort stand St. Christophorus, Evangelisches Johannesstift Berlin. Nicht dass irgendeiner von uns konfessionelle Bedenken hatte, solches Gedankengut wiesen wir weit von uns, allein die Hinweistäfelchen zu den einzelnen Gebäuden ließen uns zaudern. Die Gebäude für REHA-Maßnahmen zur Gesundung psychischer und physischer Beeinträchtigungen waren ja unbedenklich, das mit dem Seniorenheim in der Mitte ließ uns zucken. Ob die uns jemals wieder raus lassen wenn wir erst mal die Schranke passiert haben? Mit dem Rennrad rein – mit dem Rollator raus, Manni wie immer vorweg, Conti-Bereifung RollaS4 für den hastigen Senioren, Labeflasche aus den Hause Kukident, ein Glas Doppelherz zum Frühstück, Müsli aus der Schnabeltasse-dem Himmel über Berlin plötzlich ganz nahe. Bevor solch schauriges Gedankengut uns zur Umkehr bewegen konnte fing Bernd uns ein, unsere Gedanken waren auch seine Bedenken und er hatte alles schon gepeilt. Ein wirklich schönes Hotel am Waldrand als Teil dieser Anlage, optimal in Rufweite einer Weltstadt – und ohne Ausgangsbeschränkung. Das Ziel war erreicht, ohne Sturz, ohne Panne, sportlich, kameradschaftlich, harmonisch, darauf konnten wir mit Stolz anstoßen und als dann Bernd zur Krönung noch bemerkte, er sei höchstens 20 Minuten vor uns im Hotel gewesen, haben wir alle nochmal unsere Waden gestreichelt.

Zwei Tage Berlin, Hauptstadt pur, soweit uns die Füße getragen haben, staunend vor der Historie, stirnrunzelnd vor der üppigen Gegenwart, kopfschüttelnd vor der Zukunft – wie etwa das Stadtschloss, nichts haben wir ausgelassen. Dazu gehörte auch das Olympia Stadion, ein monumentales Bauwerk und einen Augenblick dachten wir nicht an den Pokalsieg, dazu war der Hauch der Vergangenheit zu präsent. Obwohl so ganz ohne BVB geht in Berlin doch nichts, die Berliner VerkehrsBetriebe haben mit unserem BVB eines gemeinsam, auf dem Weg nach vorn ein unerhörtes Tempo, keine Busfahrt ohne Schleudertrauma auf den hinteren Plätzen.

Zwei Tage ohne Rennsattel unter dem Allerwertesten – und Entzug war im Anzug. Für unsere letzte Etappe hatten wir uns den schönsten Tag ausgesucht, strahlend blauer Himmel mit hochsommerlichen Temperaturen. Für die erste halbe Stunde war erst einmal volle Konzentration gefordert, denn erst ab Spandau-Mitte führte unser Weg nur noch westwärts. Mit 220.000 Einwohnern ist dieser “Vorort“ größer als Oberhausen, aber um einiges quirliger und Radfahrer müssen sich den Weg mit den Fußgängern teilen, kein ideales Radrevier. Verlässt man Spandau, ist man innerhalb weniger Minuten j w d (janz weit draußen) wie der Berliner sagt und man genießt die Mark Brandenburg. Unsere Reise durch die Mark Brandenburg sollte in Haldensleben enden, der Weg dorthin entlang an unbekannten Seen und stets in Havelnähe, ließ teilweise erahnen, dass dieses Fleckchen Erde einst die Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen genannt wurde, das ist lang her, der sandige Boden ist geblieben. Wer die Gegend kennt, weiß wie lang sich die Strecke von Berlin bis Haldensleben zieht, die Temperatur hielt sich den ganzen Tag und die trockene Luft verlangte unterwegs nach reichlich flüssigem Nachschub. Auf der touristischen Rangliste steht Haldensleben nicht ganz oben, umso größer die Überraschung vor Ort. Ein Hotel mit individueller Klasse in einer Villa aus den guten alten Zeiten, mit Stil und Geschmack hergerichtet, sehr schönem Garten und gehobener Küche. Den Abend haben wir genossen und zum krönenden Abschluss zog Paul eine komplette Diskothek aus der Trikottasche. Mini-Boxen und unendlicher Musikvorrat aus technisch geheimnisvollen Quellen, Musik aus jeder Epoche, der Abend spiegelte die komplette Etappenfahrt, rundherum gelungen.

Auf der Rückfahrt im Bus ging vielleicht schon der ein oder andere Gedanke in die Zukunft, wohin 2014? Allein der Schreiber dieser Zeilen fährt ins Ungewisse – das dezente aber stetige Verlangen der Familie, wieder einen Hund aufzunehmen hat gefruchtet – sie haben mich weich geklopft, wir haben einen Neuen. Ratet mal wer sich drum kümmert…

Volker

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